„Die vegetarische Lebensweise ist in der Schweiz nichts Exotisches mehr“

Swissveg-Team

Interview mit Renato Pichler – Gründungsmitglied und Präsident von Swissveg

1. Lieber Herr Pichler, Sie sind Gründungsmitglied der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus, die 2014 in Swissveg umbenannt wurde. Seit 22 Jahren macht sich der Verein für die Belange der vegetarischen und veganen Ernährung stark. Bitte stellen Sie den Verein kurz vor.

Swissveg bietet umfassende Informationen zu allen Bereichen der vegetarisch/veganen Lebensweise. Neben der umfangreichsten Homepage www.swissveg.ch im deutschen Sprachraum erstellt Swissveg auch laufend Flyer, Broschüren, Kleber etc. und publiziert regelmässig das Magazin Veg-Info.

Swissveg-logo1996 startete Swissveg das V-Label-Projekt in Kooperation mit der Europäischen Vegetarier-Union. Heute ist das V-Label das bekannteste Label zur Kennzeichnung von vegetarischen/veganen Produkten in Europa. Heute bieten alle grösseren Supermärkte und Reformhäuser in der Schweiz von Swissveg zertifizierte Produkte an.

Swissveg ist die grösste und älteste Interessensvertretung aller Veganer und Vegetarier in der Schweiz. Swissveg-Mitglieder erhalten bei über 100 Firmen Vergünstigungen.

Jedes Jahr organisiert Swissveg das grösste vegane Strassenfest der Schweiz: die „Veganmania“.

 

2. Was hat sich in den vergangenen 22 Jahren verändert? Ist es in der Schweiz heute einfacher, vegetarisch bzw. vegan zu leben?

Ja, es ist viel einfacher geworden. Damals wussten die meisten Menschen noch nicht, was vegetarisch heisst. Durch unsere Öffentlichkeitsarbeit ist heute die Situation der Veganer in etwa so, wie vor 22 Jahren diejenige der Vegetarier.

Früher wurden Aktivisten am Swissveg-Stand von Passanten noch beschimpft, heute kommt es immer öfters vor, dass Passanten sich geradezu entschuldigen, indem sie sagen, dass sie auch nur noch sehr wenig Fleisch konsumieren.

 

3. Die vielen Fleischskandale der letzten Jahre haben das Vertrauen der Konsumenten erschüttert. Wie erleben Sie das, findet ein Umdenken in der Bevölkerung statt?

Schon in der allerersten Ausgabe unseres Magazins berichteten wir über den Rinderwahnsinn. In den darauffolgenden Jahren gab es immer wieder Skandale in der Fleischindustrie, über die wir berichteten. Kurzfristig hatte dies schon Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Bevölkerung. Meist wurde jedoch bei Schweinegrippe zu Rindfleisch, bei Rinderwahnsinn auf Hühnerfleisch und bei Vogelgrippe wieder auf Schweinefleisch gewechselt.
Jeder Skandal gab aber vielen Menschen auch einen Anstoss, um ihre Ernährung grundsätzlich zu überdenken. Deshalb sieht man in den letzten Jahren einen starken Anstieg beim Konsum von Fleischalternativen.

 

4. Sie selbst ernähren sich seit über 20 Jahren vegan. Was waren Ihre Beweggründe, sich für ein Leben ohne tierische Lebensmittel zu entscheiden?

Ich lebte zuvor einige Jahre vegetarisch. Je mehr ich mich mit dem Thema auseinandersetzte, desto weniger konnte ich hinter dem Milch- und Eierkonsum stehen. Insbesondere aus Tierschutzgründen konnte ich den Kauf solcher Produkte nicht mehr vertreten. Um die ganze Industrie dahinter (Tierfabriken, Schlachthöfe usw.) nicht weiter zu finanzieren, habe ich aufgehört, diese Produkte zu kaufen oder zu konsumieren.

 

5. Swissveg führte 1996 das Vegetarismus-Label (V-Label) ein, mit dem u.a. vegetarische Convenience-Produkte gekennzeichnet werden. Mittlerweile koordinieren Sie das V-Label für 12 Länder. Welche Bedeutung hat die einheitliche Kennzeichnung für den Kunden?

Es erleichtert den Einkauf enorm. Einerseits kann durch das V-Label sofort erkannt werden, ob ein Produkte für einen Veganer bzw. Vegetarier geeignet ist, ohne die ganze Zutatenliste studieren zu müssen. Andererseits gibt es Produkte, bei denen nicht einmal die Zutatenliste erkennen lässt, ob sie wirklich vegetarisch/vegan sind. Zum Beispiel muss Apfelsaft, der mit Hilfe von Gelatine oder Fischblase geklärt wurde, nicht entsprechend deklariert werden.

 

Renato Pichler – Gründungsmitglied und Präsident von Swissveg
Renato Pichler – Gründungsmitglied und Präsident von Swissveg

6. Swissveg steht für eine pflanzenbasierte Lebensweise. Für Sie und Ihr Vereins-Team dreht sich jeder Tag um dieses Thema. Wie verbringen Sie die Mittagspause?

Mit der Zeit wird die vegane Ernährung zur Selbstverständlichkeit. Deshalb dreht sich bei uns privat längst nicht mehr alles ums Essen. Es wird zwar vegan gegessen, doch dies ist nur selten das Gesprächsthema in der Mittagspause. Genauso wenig, wie Fleischkonsumenten jeden Mittag über das Fleisch diskutieren, diskutieren langjährige Veganer jeden Mittag über ihr Essen.

 

7. Sie sind seit der ersten Stunde des Vereins mit dabei, haben Swissveg mit aufgebaut und auch mitgeprägt. Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders gut?

Es ist sehr abwechslungsreich: Es gibt keinen Lebensbereich, der nicht durch den heutigen Konsum tierischer Nahrungsmittel beeinträchtigt wird. Sei dies Umwelt, Gesundheit, Tierschutz, Menschenschutz usw.
Da bei Swissveg sehr viel direkt im Sekretariat selbst erledigt wird, ist es nicht nur von den Themen her vielfältig, sondern auch von der Arbeit (Flyer oder anderes Material gestalten, Homepage erstellen, Events organisieren, Produkte zertifizieren, Artikel schreiben, Interviews geben, Vorträge halten).

 

8. In diesem Jahr organisieren Sie zum 4. Mal das „Veganmania“ in Winterthur, das erste vegane Straßenfest der Schweiz. Wie ist der Zuspruch der Menschen und wie wichtig ist für Sie der persönliche Kontakt zu den Besuchern?

Das Interesse war immer sehr gross. Auch die Geschäfte hier in Winterthur haben gesehen, dass die Nachfrage nach veganen Produkten sehr gross ist und haben ihr Sortiment entsprechend angepasst. Zudem gibt es seit der ersten Veganmania einen veganen Dönerladen und zwei rein vegane Geschäfte.
Der persönliche Kontakt ist uns sehr wichtig. Über 90 Prozent der Bevölkerung isst auch heute noch Fleisch. Alle diese Personen möchten wir ansprechen, deshalb ist es wichtig, immer wieder direkten Kontakt mit den Menschen „auf der Strasse“ zu haben.

 

9. Gibt es ein besonderes Erlebnis im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit, an das Sie sich besonders gerne erinnern?

In den 22 Jahren ist so viel passiert, dass es schwer ist, ein einzelnes Ereignis hervorzuheben.
Es gibt viele Höhepunkte. Zum Beispiel: Vorträge vor interessiertem Publikum, oder der erste Besuch bei einem grösseren Konzern zur Einführung des V-Labels.

 

10. Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Swissveg? Welche Pläne gibt es?

Unter anderem dank Swissveg ist heute die vegetarische Lebensweise in der Schweiz nichts Exotisches mehr. Dasselbe wünschen wir uns für die Zukunft auch für die vegane Lebensweise.
Um dies zu erreichen, haben wir viele Projekte in Planung. Zum Beispiel werden wir dieses Jahr die VeggieWorld in der Schweiz einführen. Und auch im Winter einen ersten grösseren veganen Event durchführen. Zudem wird die V-Label-Zertifizierung nun auch auf Kosmetik, Bekleidung und weitere Produktegruppen ausgeweitet.

 

Lieber Herr Pichler, vielen Dank für das nette Interview!

Schreibe eine Antwort

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong> 

Erforderlich